Human Requiem – Waltz bewegt den Rundfunkchor Berlin

Was soll nach John Neumeiers durchtanzte Deutungen der klassischen Chorwerke noch kommen? Szenisches von Sasha Waltz. Um es gleich vorweg zu schreiben: ich schreibe nach dem erleben des Human Requiem voreingenommen. Das Projekt klingt banal: Brahms Schlachtross der Chorsinfonik zu „verkörperlichen“ um es dann Human Requiem zu nennen.  Was für eine Vereinnahmung. Kleiner ging es nicht? Nur, wenn man den Allgemeinplätzen folgen würde, doch die gab es nicht.

Und nun beginnt die Zwickmühle. Wie berichten ohne zu viel zu verraten?

Musikalisch wird das Werk auf hohem Niveau musiziert. Statt der Orchesterfassung wird eine Klavierfassung zu vier Händen dargeboten. (Wie es scheint, keine der bekannten)  Der Rundfunkchor Berlin zeigt was er hat. Und er hat! Bedingt durch die szenische Darstellung (hier Verkörperlichung genannt) und der Verteilung im Raum war es möglich die einzelnen Sänger als das zuhören was sie sind: Stimmkünstler die einem Werk dienen und trotzdem im Ensemble Individuen bleiben.  Möglich wird dies durch einen lohnenden Trick. Im Raum des Radialssystems finden sich Zuhörer (besser: Spielpartner und Statisten) und Sänger ein, ohne zuvor in ihrer Rolle erkennbar zu sein. Erst nach dem Einsatz des Chores festigt sich die Zuordnung. Nie waren wahrscheinlich die Hörenden so gut in den Klang eines Chores integriert wie hier. Damit nimmt eine packende Dramaturgie ihren Lauf, die einen 80 Minuten nicht mehr aus ihrem Bann entlässt.

Unabhängig davon ob man dem kompositorischen Wert oder der spirituellen Komponente den Vorzug gibt. Hier wurde es eins. Dabei ist die Lesart keineswegs eine christlich missionarische sondern eher die der menschlichen Erfahrungswelt. Besser des Menschseins im edelsten Sinn. Orientiert an den kraftvollen Texten lebt die Utopie des Höheren auf.  Diese Leistung geht auf die Sichtweise von Waltz zurück. Genau in dem Maße wie das Deutsche Requiem von Brahms keine „Totenmesse“ ist,  beweist die szenische Umsetzung , das zum Menschsein  die Tiefen des Glücks schon in den Fragen liegen können, für deren Antwort wir so gerne die Bibeltext als Verbindlich annehmen möchten.

Der Dank des Abends geht zu allererst an jeden einzelnen Sänger des Chores. Was muss es für ein Weg von einem Rundfunkchor mit beamtenähnlichen Strukturen der Nachwendezeit zu dieser gezeigten Leistung gewesen sein. So facettenreich wird das Gemeinschaftsgut Rundfunkchor Zukunft haben.

Dieser Abend war etwas sehr besonderes. Wie zu hören ist, soll diese außerordentlich beglückende Produktion im nächsten Jahr erneut zur Aufführung kommen. Für die Tickets würde ich einiges bieten.

Sonntag, 12. Februar 2012 20:00 Konzert
Radialsystem V Halle

 

Johannes Brahms – „Ein deutsches Requiem“
für Soli, Chor und Klavier zu vier Händen

  • Marlis Petersen, Sopran
  • Konrad Jarnot, Bariton
  • Phillip Moll, Klavier
  • Philip Mayers, Klavier
  • Rundfunkchor Berlin
  • Simon Halsey – Dirigent